Camp 22 - Stars of Balan Tamur 29.8. - 11.9.2007
von Petra Hoffman-Walbeck
Von Sibirien und dem Baikalsee träumte ich schon lange. Ich wollte auf keinen Fall in einer organisierten Reisegruppe Highlights abfahren und alleine zu reisen konnte ich mich auch nicht entschließen, da kam mir das Angebot von Baikalplan gerade recht: individuell anreisen und in einer russisch internationalen Gruppe in der Taiga leben und sogar ein bisschen nützliche Arbeit tun.
Als Reisezeit kam für mich nur der September in Frage und das Projekt "Stars of Balan Tamur" im Dzherginski Reservat im Nordosten vom Baikalsee versprach schon vom Namen Wunderbares und so habe ich mich beworben.
Ich bin mit der Transsib ab Moskau zunächst nach Irkutsk gefahren dort fand ich sehr nette Aufnahme im downtown-hostel. Im GBT-Büro, das gleichzeitig die Studentenbude von Tanya, der Koordinatorin, war, traf ich auf eine muntere Runde anderer GBT-Teilnehmer und bekam erste nützliche Hinweise für den Aufenthalt im Wald, wie den Ratschlag, mir in Irkutsk noch ein Mückennetz zu besorgen. Diesen Mückenhut habe ich später gut brauchen können.
Am nächsten Tag ging es mit dem Zug weiter schöne Ausblicke aus dem Zugfenster auf den Baikalsee nach Ulan-Ude. Dort hatte ich im Hotel Buryatia vorgebucht. Es ist nicht ganz billig, aber von meinem Zimmer im 12. Stock hatte ich einen weiten Ausblick. Auf der Rückfahrt bin ich im Hotel Bargusin geblieben, das bei ähnlicher Ausstattung, genauso zentral gelegen, nur etwa halb so teuer war, allerdings ohne Weitblick.
Unsere Gruppe traf sich am nächsten Morgen vor dem Lenindenkmal auf dem zentralen Platz in Ulan-Ude. Ich wusste nur, dass zwei Schweizer mit von der Partie sein würden und war sehr gespannt auf die anderen.
Es stellte sich heraus, dass wir fünf "Internationale" waren, eine amerikanische Studentin der russischen Literatur, eine australische Weltenbummlerin, ein Schweizer Studentenpärchen alle Anfang/Mitte zwanzig und ich mit 57 Jahre vergleichsweise uralt, dazu kamen 10 Russen, zunächst drei Lehrerinnen aus Ulan-Ude, eine von ihnen war unsere Gruppenleiterin und zwei Studenten aus Irkustk, einer der beiden war Anglistik-Student und fungierte als unser Übersetzer. Am nächsten Tag gesellten sich noch zwei junge Lehrer aus dem Dorf Maiskii und drei Ranger, die zum Dzgerginski-Resevat gehörten, dazu. Abgesehen von der etwas launischen Gruppenleiterin lauter nette, junge Menschen, obwohl nur zwei der Ranger annähernd mein Alter hatten, habe ich mich trotz des Altersunterschiedes immer wohl und integriert gefühlt.
Die Anfahrt zu unserem Camp dauerte drei Tage und war abenteuerlicher als ich mir das vorgestellt hatte. Am ersten Tag stiegen wir alle in einen gemieteten Minibus und fuhren 10 Stunden etwa 400 km zum Teil über asphaltierte Straße mit Schlaglöchern, meistens über Piste in den Ort Maiskii. Wir wurden gut durchgerüttelt, aber ich fand das lustig und es gab ein paar Pausen und schöne Ausblicke auf den See, in dessen gar nicht so kaltem Wasser wir einmal auch unsere Füße badeten. Es war schon dunkel, der Vollmond hing über den Bergen, als wir Maiskii erreichten. Wir übernachteten in einer schlichten Gostiniza zu elft in zwei Zweibettzimmern war kein Problem wir hatten ja alle Schlafsäcke und Isomatten. - Wasser gab es nur im Tankwagen auf dem Hof, aber die Küche war gemütlich und der Weg zum Klo war überdacht vom großen sibirischen Himmel.
Am nächsten Morgen standen wir früh auf, die Geländelastwagen, die uns in Reservat bringen sollten, kamen aber erst am frühen Nachmittag. Bis dahin hatten wir Zeit, auf breiten Sandwegen zusammen mit Ziegen und selbstständig zum Melken nach hause laufenden Kühen durch den Ort zu spazieren. Später fuhren uns die Geländelastwagen durch weite bergumsäumte Landschaft über rumpelnde Holzbrücken oder auch durch kleinere Flussläufe und wir haben viel gelacht über die überraschenden Sprünge, die wir auf den mitspringenden Sitzen vollführten. Es dämmerte, als wir in einer der "Winterhütten", des Reservats ankamen. Eine Winterhütte ist ein Blockhaus mit einer hölzernen Liegefläche für 4-8 Personen und einem Ofen. Wir haben noch Zelte aufgebaut und eine leckere Kascha über dem Feuer gekocht, mit etwas klammen Fingern gegessen, denn sobald die Sonne unter gegangen war, wurde es kalt.
Für den dritten Tag wurde eine Wanderung von 25 km und die Ankunft eines "very special car", das unsere Ausrüstung transportieren sollte, angekündigt. Wir liefen dann durch lockeren Lärchenwald auf dem Boden weiche Moose, Flechten, Heidel- und Preißelbeeren,von denen wir auch naschten. Das "very special car" stellte sich als ein Raupenfahrzeug heraus, das vor allem wir Internationale kritisch betrachteten, denn es brauchte 1 Liter Benzin pro Kilometer, verlor Öl und hinterlies eine wüste Spur in dem weichen Gelände. Aber wir waren dankbar unser Gepäck nicht tragen zu müssen und wenn tiefere Flussläufe kamen - sie sind dort steinig, klar und eher flach, manchmal breit setzten wir uns alle darauf und kamen so trockenen Fußes an das andere Ufer.
Es dunkelte wiederum als wir unser Camp erreichten. Der Balan Tamur ist ein schmaler, flacher See mit deutlicher Strömung und großen runden Felsbrocken darin, etwa 1000 m hoch gelegen und von Bergen umgeben, ein einmaliges Panorama. Ich konnte sofort nachempfinden, dass der See bei den Buryaten als heilig gilt. Um die am Ufer stehende Winterhütte haben wir auf moosigem Grund unsere Zelte aufgeschlagen. Unser Wohnzimmer war der Holztisch mit Bänken, der neben der Feuerstelle stand. Von nun an kochten wir in zwei Eimern morgens und abends Kascha und Tee, mittags Borschtsch, manchmal gab es Fisch. Es hat uns immer geschmeckt.
Wir hatten großes Glück mit dem Wetter. Es regnete nur am allerletzten Morgen, war fast immer sonnig und warm, mittags manchmal heiß. Nachts war es kalt im Zelt, aber nur in wenigen Nächten fiel die Temperatur unter Null Grad.
Vor uns war noch keine GBT-Gruppe, wohl auch keine anderen Touristen, an diesem Ort gewesen, auch die Gruppenleiterin kannte dieses Reservat noch nicht. Insofern gab es kein richtiges Konzept für unsere Arbeit. Wir sollten den bereits existierenden schmalen Pfad, der für die Parkhüter ausreichend war, sichtbarer machen. Die Gruppenleiterin ging mit ihrer Motorsäge und zwei Gehilfen voran und entfernte quer liegende Baumstämme. Der größte Teil der Gruppe folgte mit Heckenschere und entfernte rechts und links des bestehenden Trails Zwergrhododendren, kleine Lärchen, auch Heidelbeeren. Die Ranger sollten Stege über sumpfiges Gelände bauen, taten sie auch, viel lieber gingen sie aber fischen. Die Sinnhaftigkeit unserer Arbeit mit der Heckenschere schien vor allem uns Internationalen begrenzt. Die Parkhüter kannten ihren Weg und bei dem niedrigen Bewuchs bestand auch die Gefahr der Überwucherung nicht. Wir fragten uns, welche Touristen werden in den nächsten drei Jahren an diesem wunderbar abgelegenen Ort, an den man nur mit Genehmigung kommt, entlang wandern? Von den Verwüstungen des Raupenfahrzeuges hieß es, nach drei Jahren würden sie verwachsen sein, unsere Arbeit würde nicht länger halten. Ich fand neben meiner Freude an Natur und Menschen, die internationale Begegnung das wichtigste Ergebnis dieser Reise. Die Aufgabe für uns Internationale zum einen von den Russen zu lernen zum anderen aber auch vorsichtig "westliche Errungenschaften" zu vermitteln. Wir haben zaghaft versucht, zu erklären, dass Diskussionen darum, wie Arbeitsziele erreicht werden können, das Arbeitsergebnis verbessern können und dass man in Naturreservaten, den Müll, wenn man ihn schon nicht wieder mit zurücknimmt, vergraben sollte. Diskussionen mit der Gruppenleiterin waren unüblich und die Müllfrage war den Russen einfach vollkommen gleichgültig. Da wir an unseren letzten Tag im Camp weiter an unserem Trail schnippelten und nicht wie erwartet, Zeit zum Gelände aufräumen hatten, ist dort auch jetzt noch der Berg von Flaschen und Büchsen, der schon bei unserer Ankunft längst aus seiner Grube quoll. Eine Aufgabe für die nächst Gruppe aber keine Angst, der Müll liegt hinter der Hütte, der Blick auf den wunderbaren Balan Tamur ist nicht beeinträchtigt und es wird überlegt, ob nächstes Jahr nicht Pferde und lange Gummistiefel das Raupenfahrzeug ersetzen können, zumal das "very spezial car" durch die manchmal felsigen Wege so ramponiert wurde, das es auf dam Rückweg beim Durchfahren des letzten Flusses vor unsere Übernachtungshütte seinen Geist aufgab, vom Geländelastwagen ins Trockene gezogen werden musste.
Auch Ayun, eine buryatische Lehrerin, die zu unserer Gruppe gehörte, weil sie die Umgebung ihrer Heimat, in die sie auch noch nie gekommen war, da ohne Sondergenehmigung nicht möglich, hofft, dass die nächste Gruppe, das Raupenfahrzeug zu hause lässt. Es tat ihr leid um die Natur, die wir damit (und auch mit unseren Heckenscheren) kaputt machten. Sie streute ständig Reis, als symbolische Wiedergutmachungsgabe an die Natur.
Insgesamt war diese Reise ein ganz tolles Erlebnis für mich. Die einzigartige Natur konnte ich durch das Outdoor-Leben intensiv erfahren und das Zusammenleben mit besonders netten jungen Menschen, internationalen und russischen (ein bisschen mehr russisch hätte ich gerne gekonnt, aber wir hatten ja zwei Zweisprachige, die übersetzten) hat mir viel Spaß gemacht. Danke an die Organisatoren!