Camp 32 in Narin Azagat vom 29.06. - 11.06.2005
von Hans-Jürgen Meichsner
Der Ort liegt etwa 70 Kilometer östlich von Ulan-Ude, der Hauptstadt von Burjatien. Mehrmals täglich fahren Minibusse (Marschrutkas) vom Bahnhofsvorplatz Ulan-Ude´s das Tal des Flusses Uda leicht aufwärts am Ort vorbei und weiter in Richtung Osten. Man muß dem Fahrer Bescheid geben, daß man aussteigen möchte. Früher hieß der Ort Narin Azagat, Heute steht am Ortseingang nur noch "Azagat". Die Landschaft ist steppenartig, leicht hügelig mit wenig Baumbewuchs, eigentlich typisch, wie im Nachbarland Mongolei, das ja auch nur gut 200 Kilometer entfernt liegt. Der Ort hat vielleicht 1500 Einwohner, mit Häusern, fast alle aus Holz erbaut. Nur das kleine zentral gelegene Kulturhaus, ein Überbleibsel aus kommunistischen Tagen, trotzt massiv aus Stein errichtet den Winterstürmen. Insgesamt eigentlich ein typisches Dorf in Sibirien, was kaum Aufmerksamkeit erwecken würde, wenn es nicht etwas Besonderes hätte - die wieder erbaute buddhistische Klosteranlage am oberen Abhang des Dorfes.
Erst 1993, nach der Perestroika, hatte man damit beginnen können - zuerst mit dem Haupttempel und einem Nebengebäude und nun mit einer umschließenden Mauer aus Stein, weithin leuchtend in strahlendem weiß. Viele freiwillige Helfer werden dafür gebraucht, denn es fehlen noch Mauerabschnitte und die typischen Stupas dazwischen, die nach genauen Regeln erbaut werden und buddhistische Heiligtümer enthalten. Das war auch unsere Aufbauarbeit gemeinsam mit Helfern von russischen und burjatischen Umweltgruppen. Zwei solche Stupas schafften wir in 14 Tagen, wobei alles ziemlich "sibirisch" ablief, weil die ersten Tage der Zement noch mit Hand gemischt werden mußte. Dann tauchte plötzlich, wie aus dem Nichts, ein elektrischer Mischer auf, der aber auch nicht gerade überlastet werden durfte.
Begonnen hatte alles mit dem Ausschachten eines 20 cm tiefen Fundamentes und dem Bauen von Holzverschalungen. Schon das dauerte seine Zeit, denn kaum einer hatte Erfahrungen und alles wurde manuell erledigt. Hektik kam dabei nicht auf. Man hat Zeit in Sibirien, auch, wenn der Sommer nur kurz ist. Einmal wurde der Zement knapp, aber das bemerkt man in Russland erst, wenn es bereits zu spät ist. Freizeit ist dann angesagt, die wir zum Einkauf von Lebensmitteln im Ort (es gibt immerhin 4 kleine Geschäfte) oder zu einem Ausflug auf den heiligen Berg gleich in der Nähe nutzten.
Allmählich wuchsen die Stupas nach oben, wobei zwei massive Blöcke, mit Feldsteinen vermischt, entstanden - die werden sicher in 1000 Jahren noch immer existieren. Ein großer Hohlraum soll später Reliquien oder auch nachgefertigte symbolische Heiligtümer aufnehmen. Da ist man im Buddhismus sehr erfinderisch und unkompliziert, auf die magische Ausstrahlung und davon ausgehende Energie kommt es an.
Geschlafen haben wir in den unmittelbar angrenzenden Wirtschaftshäusern außerhalb der Klostermauern. Der junge Mönch Odschir, der seit nunmehr 4 Jahren dort lebt, hat extra dafür zwei seiner Zimmer zur Verfügung gestellt. Fließendes Wasser gab es nicht. In der Banja, dem typischen russischen Badehaus, steht der Brunnen. Auch für die Küche wurde das Wasser in Eimern herbeigeschleppt. Da ging man schon freiwillig sparsam mit dem Naß um, denn der Küchendienst mußte selbst kochen, aufwaschen und Müll wegbringen. Aber auch das gehört zu einem richigen Klosterleben und brachte Abwechslung, ja auch interessante Erfahrungen über das harte Alltagsleben (was wohl erst richtig für den Winter zutrifft) in Sibirien.
Heute leben im Kloster erst wieder 2 Mönche. Der Lama selbst, Oberhaupt der Klostermauern, hat eine Familie (was im Buddhismus durchaus erlaubt ist) und bewohnt ein Haus unten im Dorf. Regelmäßig ist er natürlich anwesend, leitet Zeremonien und ist da für die Sorgen der Dorfbewohner.
Das alte Kloster wurde übrigens 1937 von den Kommunisten enteignet, der Lama getötet, und das Gebäude zunächst zweckentfremdet und später ganz zerstört. Es lag an anderer Stelle als heute, 12 Kilometer vom Dorf entfernt. Dorfbewohner konnten einige alte Tempelreliquien an sich nehmen, verstecken und so wurden sie für die kommenden Generationen erhalten. Ein kleines Museum erinnert heute an die dunkle Zeit und ehrt den ermordeten Lama Arwan Dorschijew. Übrigens folgen heute wieder gut 30 % der Bevölkerung den buddhistischen Lehren, deren Gedankengut nicht auszurotten war. Zu tief ist Burjatien seit Jahrhunderten mit dem Buddhismus verwurzelt. Tibet, die Mongolei - diese Gebiete liegen nicht nur gedanklich näher, als das ferne Moskau. Dies auf jeden Fall für die mongolischen Bevölkerungsschichten, die gut die Hälfte aller Einwohner Burjatiens ausmachen.
Während unseres Aufenthaltes im Juni 2005 waren wir Augenzeuge des alljährlich stattfindenden Dorffestes. Es beginnt mit dem Besuch von 3 heiligen Stätten, unter anderem dem bereits erwähnten Berg nahe des Klosters. Jeder bringt dazu Speisen des Alltages mit. Diese werden abgestellt und geweiht, indem man sie drei Mal in einem großen Kreis umrundet, wobei ständig zwei Flüssigkeiten aus Flaschen auf den Erdboden versprengt werden. Man wird es nur schwer glauben, einer dieser Flüssigkeiten ist Wodka !!! Ich habe niemanden auch nur einen Schluck trinken sehen.
Es werden buddhistische Verse rezitiert und Gebetsfahnen mit dem Stempelaufdruck eines heiligen Pferdes an dafür vorgesehene Opferstellen gehangen. Der Wind trägt die Wünsche hinaus in die Welt.
Anschließend begann das Sportfest in der Steppe mit Reiten, Bogenschießen, Ringkampf und Armdrücken. Die Jugend beteiligte sich rege daran, ist es doch eine prestigeträchtige Sache als Sieger vom Platz zu gehen. Übrigens lernt man seit einigen Jahren in der Schule wieder das traditionelle Bogenschießen. Bis zu 1000 Euro kostet die Ausrüstung, die die Eltern der Kinder dafür aufwenden müssen. Niedlich anzusehen, wie die Alten des Dorfes um einen Schuß mit dem Bogen bettelten und doch nur Gelächter ernteten, weil sie ohnehin nicht trafen.
Diese Beispiele zeigen, daß die Perestroika, neben allen Problemen, dem Land zu neuem Aufbruch verholfen hat. In Azagat, dem kleinen uns so lieb gewordenen Dorf, entstehen auch viele neue Häuser, völlig aus Holz erbaut. Es sind Pensionäre, die etwas gespart haben und nun aus der Stadt zurückkehren, um dort den Lebensabend zu verbringen, wie man uns versicherte.
Man besinnt sich wieder auf Traditionen, findet Wurzeln, aber ist der Moderne natürlich trotzdem nicht abgeneigt. Ulan-Ude, die Hauptstadt Burjatiens, legt Zeugnis davon ab. Es gibt fast alles zu kaufen und es ist durchaus nicht so, daß sich niemand etwas leisten kann. Wir haben die Jugend sehr fröhlich erlebt und das Handy ist ebenso bereits Alltag, wie ein schickes Outfit.
Mit einer jugendlichen Umweltgruppe konnten wir gemeinsam in Turka, einem Ort direkt am Baikalsee, eine Fläche vom Müll beseitigen und anschließend darauf Bäume pflanzen - ein toller Abschluß unseres Aufenthaltes in Sibirien und ein Zeichen der Ökologie auch an die einheimische Bevölkerung.
Hans-Jürgen Meichsner, Dresden
PS.: Dieser Artikel ist auch Odschir gewidmet, dem jungen Mönch aus dem Kloster von Azagat, dessen Ziel es ist, einmal Lama zu werden.