Dresden-Irkutsk mit dem Bully V.
Seit 1. Juli sind Claudia, Sandra, Thomas und Hagen nun endlich unterwegs, mit ihrem Mitsubishi Bus und dem guten alten Bully. Von zeit zu zeit wird es ab jetzt hier Neuigkeiten, Abenteuer und sicher auch ein paar Tipps zu lesen geben.
Claudia Löffler am 29.8.03
Vsem privet eshtsho,
statt Blini fuellen Tsheboriki meinen Bauch und die Fuesse, die in den letzten Wochen nur an zwei Tagen Bergbesteigung richtig beansprucht worden sind, gluehen. Der Herbst hat ausserdem am Mittag dem Sommer noch einmal den Vortritt gelassen, so dass in den staubigen Strassen von Irkutsk die Luft der Erde naeher ist als dem Himmel. Es ist heiss, tatsaechlich...
Habt Ihr uns vielleicht eine Scheibe von Eurem Jahrhundertsommer abgeschnitten?
Seit ca. einer Woche erleben wir ihn nun doch, den bestaendigen, strahlenden Kontinentalsommer mit klaren, kuehlen Sternennaechten, den ich und Thomas schon vermisst hatten, und von dem Sandra und Hagen bezweifelten, dass es ihn ueberhaupt gibt. Dennoch besteht ueberhaupt kein Anlass zur Klage ueber unser Reisewetter, das "rasni" war wie der Russe sagt, aber dadurch aufregend und immer wieder neu (doch, Ihr Lieben, ich muss ins Detail ueber Wind und Wetter gehen, da dies eine Grundvorraussetzung und damit zugleich groesstmoeglichster Stoerfaktor fuer unsere Paddelexpedition war!).
Als waschechte Flachlandindianer mit gelegentlichem Hang zu Paddelausfluegen und einem ehemaligen Wildwasserkanuten war fuer uns alle die Befahrung des Baikalsees, des Sibirischen Meeres, eine ungekannte Herausforderung. Also testeten wir vorsichtig an, setzten die Boote auf der Halbinsel Swatui Nos (die Heilige Nase :-) in den Tschiwyrkutsker Meerbusen bei Kurbulik ein und beobachteten Wind, Druck (und wie er am Anfang immer und immer weiter fiel...) und Stroemungsverhaeltnisse. Gleich die ersten Kilometer begruesste uns der Baikal mit kraeftigen Wellen und heftigem Gegenwind. Gelegentlich aufkommender Regen, eindrucksvolle Gewitter sowie notwendig vorzunehmde Taufen unserer angesteuerten Buchten (die Buchta Ongogonski heisst jetzt auch Polfilterbucht, da Thomas gutes, neues, im wahrsten Sinne des Wortes teuerstes Fotoaccessoir ihrem Grund als Gutwetteropfer ueberreicht worden war...) liessen uns in den ersten Tagen eher vorwaerts duempeln denn kajaken.
Aber irgendwann war Schluss damit. Heiteres Wetter und fast glatte See ermutigten uns, den Angriff auf den Nasenruecken Richtung Nordkap zu wagen - und... wir waren schneller als der Wind, und kamen in die "Bucht der scharfkantigen Steine" gleich neben der "Buchta Medwed" - der Baerenbucht. Ja, richtig, alles wieder selbst erdachte Namen, die wahrheitsgemaess die markantesten Charakteristika unserer Uebernachtungs- oder Pausenstellen beschreiben.
Ich habe also meinen ersten Braunbaeren in freier Wildbahn getroffen. 10 Meter gross und 700 Tonnen schwer und schokoladenbraunes Fell :-). Nun ja, zugeben, ein wenig kleiner war er, auch eher grauschwarz als braun, hatte aber ueberhaupt keine Angst vor unseren bis zu 5 Meter langen Booten und stellte sich, als wir uns zu nah an sein auserwaehltes Trinkwasserufer wagten (nein, Mutti, wir waren IM Boot AUF dem Wasser und nicht mit der Flinte hinter ihm her :-))) auf seine Hinterbeine, um ein bisschen zu posieren. Wir waren durchaus beeindruckt und - widmeten uns eher den kleineren, weniger gefaehrlichen Saeugern des "Heiligen Meeres", den Nerpas genannten und einzigartig auf dieser Welt vorkommenden Suesswasserrobben...
...Das Wetter schien stabil, der Druck uns hold, um die Ueberfahrt zu den ca. 15 km entfernt in der geographischen Mitte des Baikalsees liegenden Ushkaniinseln anzugehen! Schwimmweste an, keine langen Pausen von Instructor Hagen gestattet, Muesliriegel griffbereit und die Tasse unters Gepaecknetz geklemmt, um herrlich klares, gut schmeckendes Wasser gleich neben dem Boot zu schoepfen und Paddeldurst zu loeschen. Nach 2 1/2-stuendiger Operation "Nerpa" waren wir gluecklich und ein bisschen erschoepft angelangt im Herzen des Sees! Auf vier Inseln kann man die Robben beobachten. Man muss nur "ticha", pssst, leise sein, um sie auf den vorgelagerten Felsklippen sich sonnen zu sehen oder man hat Glueck und sie tauchen direkt neben dem Kajak auf, anscheinend nicht gewohnt, auch auf diese unmotorisierte Weise Menschen zu begegnen und entsprechenden Abstand zu halten. Ueberrascht mustern sie einen kurz mit ihren langen, drahtigen Barthaaren und tauchen, nun, nicht schreckensbleich, denn sie sind rabenschwarz, aber doch hastenichgesehen wieder ab.
Nach 14 Tagen Paddeln nahmen wir wohlbehalten und ohne Verluste unsere Autos am Strand von Kurbulik von Fischer Andrej in Empfang, sammelten unsere Gedanken und Wandersachen fuer eine Bergtour, und bestiegen den Markovo (1877m laut Karte, 1830m laut Thomas Uhr... wer hat Recht ;-) ?), den hoechsten Berg der Nase.
Oben erwartete uns der Herbst, mit herrlich buntem Moos- und Gestraeuchteppich, Blaubeeren satt und einem Rundumblick auf alle Stationen unserer Paddeltour... Sonne geht unter, Frost kommt nicht ins Zelt, laesst aber Wassermulden im Fels gefrieren, uns den Schlafsack fest um die Schultern wickeln und von unseren Erlebnissen traeumen - sonnenverbrannt und blond geworden... Klappe.
Schluss fuer heute, ihr habt genug zum Lesen. Ich erobere mir Irkutsk zurueck, um in nicht allzu baldiger Ferne noch einmal an den Baikal, Richtung Insel Olkhon, aufzubrechen!
Poka, Ihr Lieben und herzliche Gruesse von Eurer Claudia